Professor Rul Gunzenhäuser ist am 14. Februar 2018 im Alter von 84 Jahren verstorben. Die Universität Stuttgart und der Fachbereich Informatik verlieren einen außergewöhnlichen Kollegen. Wir trauern mit seiner Familie und seinen Freunden und Bekannten.
Rul Gunzenhäuser studierte ab 1953 Mathematik, Physik und Philosophie in Tübingen und Stuttgart. 1959 legte er das erste und nach einer zweijährigen Referendarzeit das zweite Staatsexamen ab. Parallel hierzu erstellte er seine Dissertation aus dem Bereich der Anwendung statistisch mathematischer Verfahren auf die Text-Ästhetik und wurde 1962 bei Max Bense zum Dr. phil. promoviert. Danach befasste er sich als wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Walter Knödel am damaligen Rechenzentrum der TH Stuttgart mit Rechnern, Programmiersprachen und mit Programmen zum Erlernen von Assemblersprachen. Es folgte ein einjähriger Aufenthalt als Gastprofessor an der State University of New York und 1966 eine Berufung als Professor für Angewandte Mathematik und ihre Didaktik an die Pädagogische Hochschule Esslingen. 1973 nahm er den Ruf auf eine ordentliche Professur für Informatik an der Universität Stuttgart an, die er bis 1998 als Leiter der Abteilung Dialogsysteme im Institut für Informatik innehatte.
Rul Gunzenhäuser ist einer der Mitbegründer einer wichtigen Teildisziplin der Informatik, der Mensch-Computer-Interaktion, und er gilt als Pionier im Bereich des rechnerunterstützten Lehrens und Lernens. Als Ergebnis vieler Forschungsprojekte entstanden Lehr- und Lernprogramme, Programmierumgebungen, objektorientierte Arbeitsumgebungen, intelligente tutorielle Systeme, Benutzungsoberflächen und Hypertext- und Hypermediasysteme unter Berücksichtigung von Text, Graphik, Sprache und Multimedia. Schon 1977 begann seine Arbeitsgruppe mit der Entwicklung von rechnerunterstützten Hilfsmitteln für Blinde. Diese vielfältigen Unterstützungssysteme hatten Einfluss auf die bundesweite Blindenförderung und erzielten auch international große Beachtung. Sein unermüdlicher Einsatz auf diesem Gebiet ist von hoher sozialer Verantwortung geprägt und wurde 1994 mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet.
Darüber hinaus hat sich Rul Gunzenhäuser über Jahrzehnte mit der Informatikausbildung beschäftigt und diese auf Tagungen, in Lehrplankommissionen und wissenschaftlichen Gesellschaften und mit didaktischen Materialien und Büchern zum Thema „Computer und Informatik in der Schule“ weiterentwickelt. Im selben Maße lag ihm der wissenschaftliche Nachwuchs am Herzen. Viele seiner über 40 ehemaligen Doktoranden sind heute bekannte Professorinnen und Professoren. Sein umfangreiches wissenschaftliches Werk und seine Verdienste um die gesamte Informatik wurden 1996 mit dem Ehrendoktor Dr.-Ing. E.h. der Technischen Universität Dresden gewürdigt.
Prof. Gunzenhäuser hat sich außergewöhnlich in der Selbstverwaltung der Wissenschaft engagiert. Er war mehrfach Dekan der Fakultät Informatik und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Informatik. Er war sechs Jahre im Vorstand des deutschen Fakultätentags Informatik, darunter vier Jahre lang dessen Sprecher. Er war in den Gliederungen der Gesellschaft für Informatik aktiv und wurde 2003 zu deren Fellow ernannt. Auch das Informatikforum infos ist ohne Herrn Gunzenhäusers Engagement nicht denkbar. Deswegen wurde ihm schon 2001 anlässlich der Feier zum fünfjährigen Bestehen die Ehrenmitgliedschaft angetragen. 2014 wurde er als Leuchtturm der Stuttgarter Informatik mit der Benennung des Rul-Gunzenhäuser-Hörsaals gewürdigt.
Rul Gunzenhäuser blieb auch nach seiner Emeritierung vielfältig in der Universität präsent. Er war ein regelmäßiger Besucher akademischer Veranstaltungen und nahm aktiv am Institutsleben teil. In seiner immer offenen und reflektierten Art war er ein gern gesehener Gesprächspartner für alle Kolleginnen und Kollegen. Der Mensch Rul Gunzenhäuser wird uns fehlen.